Erwachsene Grüne Meeresschildkröte am Strand

Biologie und Naturgeschichte

Einordnung im Tierreich

Schildkröten (wissenschaftlich: Testudines) gehören zu den Reptilien (Reptilia), einer Klasse wechselwarmer Wirbeltiere (Vertebrata), die im Grunde an das Leben an Land angepasst ist. Wie es auch bei anderen Gruppen in der Entwicklungsgeschichte primär landlebender Wirbeltiere, zu denen auch Vögel und Säugetiere gehören, oft vorgekommen ist, sind Meeresschildkröten (Chelonioidea) sekundär zum Leben im Wasser zurückgekehrt. Sie benötigen aber Luft zum Atmen, und die Weibchen müssen zur Fortpflanzung an das Land zurückkehren.

Innerhalb der Schildkröten gibt es die beiden großen Gruppen der Halswender (Pleurodira; Einziehen des Kopfes in den Panzer durch horizontale S-förmige Bewegung) und Halsberger (Cryptodira; Einziehen des Kopfes durch vertikale S-förmige Bewegung), wobei die meisten Arten, so auch die Meeresschildkröten, zu den Halsbergern gehören. Weitere bekannte Halsberger sind etwa die Landschildkröten, die Weichschildkröten, die Alligatorschildkröten und die Schnappschildkröten. Viele Arten sind gut an das Leben im Wasser angepasst, wie etwa die auch in Mitteleuropa vorkommende Sumpfschildkröte oder die nordamerikanischen Schmuckschildkröten. Keine Gruppe ist jedoch so konsequent an das Leben im Wasser angepasst wie die Meeresschildkröten.

Lebenszyklus

  • Erreichen der Geschlechtsreife nach 10–40 Jahren (weibliche Grüne Meeresschildkröten im Westpazifik durchschnittlich 33 Jahre)
  • Mehrere Jahrzehnte reproduktiver Aktivität (weibliche Grüne Meeresschildkröten im Westpazifik durchschnittlich 19 Jahre)
  • Ausgeprägtes Vermögen zur Wiederauffindung des Geburtsortes nach den Jahrzehnten der Reife
  • Mehrere Jahre Abstand zwischen Nistsaisons (remigration intervals)
  • Mehrere Gelege pro Nistsaison (internesting intervals)
  • Für Reptilien ungewöhnlich hohe Reproduktionsrate (r-Strategen; Überlebenswahrscheinlichkeit bis zur Geschlechtsreife etwa 1:1000)

Fortpflanzung

Paarungs- u. Werbeverhalten:

  • Die Paarung erfolgt in der Nähe der Niststrände
  • Das Weibchen paart sich nur vor der ersten Eiablage jeder Nistsaison
  • Männliches Balzverhalten wenig subtil
  • Heftige Beißkämpfe zwischen den Männchen

Ausbrüten der Eier im Sand:

  • Eier werden im Sand vergraben (0,5–1m) und durch dessen Wärme ausgebrütet
  • Richtige Bedingungen (Temperatur, Sandbeschaffenheit, Feuchtigkeit) wichtig für den Schlupferfolg: Schildkröten müssen wählerisch sein bei der Auswahl des Nistplatzes

Geschlechtsdetermination:

Die Festlegung des Geschlechtes der Schildkröten-Embryonen Nachwuchses erfolgt nicht wie bei uns durch die Kombination der Geschlechtschromosomen, sondern durch die Bruttemperatur!

Evolution

Häufig wird auf das hohe Alter der Meeresschildkröten hingewiesen und sie gerne etwa als „Dinosaurier der Meere“ bezeichnet. Fest steht, dass die Meeresschildkröten eine konservative Tiergruppe sind sich nur vergleichsweise langsam im Laufe der Erdgeschichte verändert haben.  Über das genau erdgeschichtliche Alter der Meeresschildkröten findet man jedoch oft recht unterschiedliche Angaben.

Neben prinzipielle methodischen Belangen liegt dies auch oft an unterschiedlichen Sichtweisen, was denn nun als „Meeresschildkröte“ bezeichnet wird. Schließt man etwa die Lederschildkröten (Dermochelidae) aus, findet man, dass der letzte gemeinsame Vorfahr der hartschaligen Meeresschildkröten (Cheloniidae) wahrscheinlich vor etwa 50 Millionen Jahren gelebt hat. Betrachtet man Lederschildkröten und hartschalige Meeresschildkröten zusammen, kommt man nach Auswertung von Fossilfunden auf ein Alter des mutmaßlich letzten gemeinsamen Vorfahren der beiden Gruppen und damit der heute lebenden Meeresschildkröten von mindestens 110 Millionen Jahren (frühe Kreidezeit). Dies ist derzeit (2022) die aktuelle Antwort auf die Frage „Wie alt sind die Meeresschildkröten“. Begründet wird dies durch das Alter des Fossils der Meeresschildkröte Santanachelys gaffneyi, die belegt, dass die Abspaltung der Lederschildkröten-Verwandtschaft von den anderen Meeresschildkröten vor mindestens 110 Millionen Jahren geschah.

Die Geschichte der Meeresschildkröten reicht aber noch viel weiter zurück. Die Schildkröten selbst haben sich vor mindestens 260 Millionen Jahren (Perm) von ihren Reptilien-Vorfahren abgespalten. Dies wird durch den Fossilfund von Eunotosaurus in Südafrika belegt, ein Tier, das zwar noch eher ein echsenartiges Aussehen hat, aber schon die Tendenz zur Verbreiterung der Rippen und damit zur Ausbildung eines Panzers zeigt. Eine echsenartige Gestalt zeigte auch noch das aus Deutschland stammende Fossil von Pappochelys, stammend aus der Zeit der Mitteltrias vor ca. 240 Millionen Jahre. Die ca. 220 Millionen Jahre alte Odontochelys (Obertrias) sah hingegen einer Schildkröte schon recht ähnlich. Die weitere Entwicklung der Schildkröten führt dann über die „Vor-Schildkröte“ Proganochelys (ca. 210 Millionen Jahre, Obertrias). Mit Proganochelys war dann auch das typische Aussehen der Schildkröten inklusive verknöchertem Rücken- und Bauchpanzer voll etabliert. Proganochelys hatte zwar wie alle heutigen Schildröten einen Hornschnabel und keine Zähne im Kiefer, aber noch am Gaumen. Die Zähne verschwanden dann im Laufe der weiteren Entwicklungsgeschichte der Schildkröten vollständig. Offensichtlich gab es vom Anbeginn der Evolution der Schildröten an immer wieder Tendenzen zur Ausbildung von wasserlebenden Formen.

Zum Vergleich der Zeiträume: Die Dinosaurier existierten etwa ca. 170 Millionen Jahre lang auf der Erde von vor etwa 235 Millionen Jahren (Obertrias) bis vor etwa 66 Millionen Jahren (Ende Kreidezeit). Die Entwicklung der heutigen Meeresschildkröten inklusive Lederschildkröten fand dann auch in der Zeit der Dinosaurier statt, wobei die Aufspaltung der heute lebenden Arten der hartschaligen Meeresschildkröten wahrscheinlich erst danach im Tertiär vor etwa 50 bis 30 Millionen Jahre stattfand. Der letzte gemeinsame Vorfahre des Menschen und seinen nächsten Verwandten, den Schimpansen, lebte vor etwa 8–6 Millionen Jahre; unsere Art Homo sapiens entstand vor lediglich 300.000 bis 200.000 Jahren.